Misereor zum Kongo: „Friedensprozess muss regional ansetzen"
„Für uns ist der eingeschlagene Weg der beiden großen Kirchen eine wirkliche Option“, bekräftigte die MISEREOR-Vertreterin mit Blick auf die Initiative der katholischen Bischofskonferenz des Kongo (CENCO) gemeinsam mit den protestantischen Kirchen (ECC) vom Januar.
Der Sozialpakt sei „immens wichtig“ und „die einzige wirklich sichtbare Initiative zivilgesellschaftlicher Natur, um den Konflikt zu befrieden“. Im Interview mit Radio Vatikan erläutert Meyer den Ansatz der Kirchen, die einen anderen Weg vorschlagen als die politische Führung in Kinshasa: Sie setzen auf „Gespräche in alle Richtungen“, sozialen Zusammenhalt und eine Koexistenz aller Gruppen.
Hintergrund des kirchlichen Vorstoßes ist eine neue Gewaltwelle im Ostkongo seit Januar, wo Rebellen der M23 immer weiter vordringen und Städte einnehmen. Die Kämpfe zwischen den von Ruanda unterstützten Milizen und der kongolesischen Regierungstruppen setzen der Zivilbevölkerung massiv zu. Meyer berichtet im Interview mit Radio Vatikan über eine insgesamt „katastrophale humanitäre Lage“, über Retraumatisierungen durch die neue Gewalt, darunter sexuelle Gewalt, sowie Abstumpfung und Verrohung. Die Sorge der UNO, der Konflikt könnte sich regional ausweiten, teilt MISEREOR.
Das Hilfswerk appelliert an die regionale und internationale Politik, sich im Kongo unterstützend für einen langfristigen und nachhaltigen Frieden zu engagieren: „Aus unserer Sicht wünschen wir uns wirklich, dass verantwortliche Politiker, sei es jetzt unserer Regierung, die sich ja konstituieren muss in Deutschland, sei es auch der EU, sich einsetzen für einen Friedensprozess, der regional ansetzen muss, der die Zivilgesellschaft mit beteiligen muss“, formuliert Meyer, die im Interview mit Radio Vatikan jüngere diplomatische Ansätze zur Befriedung der Region analysiert.
Der Heilige Stuhl und der Papst hatten sich zuletzt tief besorgt über die Lage im Kongo gezeigt und sich für die Unterstützung diplomatischer Bemühungen um einen Waffenstillstand und eine Befriedung des Landes unter Mitwirkung der Afrikanischen Union ausgesprochen.
Hier das ganze Interview im Audio:
Hier im Text:
Humanitäre Lage katastrophal
Vatican News: Die Notlage im Ostkongo hat sich im Zuge der Gewalt der Kämpfe der M23 und von Regierungstruppen verschärft, was wissen wir über die aktuelle humanitäre Lage?
Meyer (Misereor-Referentin für DR Kongo): Die humanitäre Lage ist katastrophal. Obwohl die Versorgungswege der von der M23 besetzen Provinzhauptstädte Goma und Bukavu wieder offen sind, ist es enorm schwierig für die Menschen, Versorgung zu erhalten, alle Preise sind in die gegangen, und es bestehen erhebliche Sicherheitsprobleme. Also es fehlt an allem, an Lebensmitteln, Trinkwasser, aber vor allem auch – was unsere Partner berichten – an psychosozialer Unterstützung, weil ohnehin enorm belastete Menschen, Familien, Binnenvertriebene jetzt erneut eine Retraumatisierung erleben von Erlebnissen vergangener Konflikte, die sie nie haben verarbeiten können.
Vatican News: Unicef hat mitgeteilt, dass sich im Ostkongo im letzten Monat schwere Gewalttaten selbst gegen Kinder verdreifacht haben, darunter Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser. Auch war von Zwangsumsiedlungen von Binnenflüchtlingen auf Befehl der M23 die Rede. Inwiefern trifft dieser Konflikt wieder einmal die Schwächsten und Unschuldigen?
Meyer: Ja, leider kann ich durch die Informationen unserer Partnerorganisationen das auch bestätigen, auch das Ausmaß sexueller Gewalt, wirklich systematisch gegen Frauen und Mädchen ist verheerend. Die Erklärung liegt in einer absoluten Überforderung und Übermilitarisierung. Viele Partner thematisieren das und sagen, dass die Banalisierung von Gewalt ein Problem sei. Wie an vielen anderen Konfliktschauplätzen auch trifft das die vermeintlich Schwächsten der Gesellschaft, und das sind eben Kinder und Frauen. Bei Kindern kommt noch hinzu: infolge der erneuten Fluchtbewegungen und der Zwangsräumungen von Flüchtlingscamps im Westen von Goma haben viele Kinder ihre Angehörigen verloren und sind plan- und ziellos unterwegs. Sie werden zu leichten Opfern, und die massive Aggression lässt sich dann an ihnen aus. Das ist sehr, sehr schlimm und wird eine weitere Saat der Gewalt säen, wie wir befürchten.
Ein kirchlicher Ansatz für Frieden
Vatican News: Dabei blickt der Kongo ja bereits auf eine lange Geschichte der Gewalt zurück. Bei der neuen Gewalt soll der Nachbar Ruanda seine Finger im Spiel haben. Wie ist die Interessenlage, was sind die Hintergründe?
Meyer: Aus meiner Sicht sind die Interessen primär wirtschaftlich. Man kann ja auch nachvollziehen, dass die M23, die - wie UN-Berichte nachgewiesen haben - von Ruanda unterstützt wird, die lukrativsten Mienen besetzt haben seit mindestens 2021. Hinzugekommen ist jetzt noch eine innerkongolesische Opposition, die Alliance Fleuve Congo (AFC), das geht auch durch die Medien. Ruanda schiebt aber wiederum das Sicherheitsbedürfnis vor von Minderheiten, die in Ostkongo leben. Das hat eben auch historische Beweggründe mit dem Genozid von 1994, und es ist eine komplexe Gemeingelage auch aufgrund von Fragen des Zugangs zu Land, Lebensgrundlagen, Gebietsansprüche und Identität. Und diese Gemengelage entlädt sich ein weiteres Mal in einem zugespitzten Konflikt, wie ihn so auch unsere Partner nicht erwartet hätten.
Vatican News: Kirchenführer hatten zuletzt mit Milizen verhandelt, um Frieden zu erwirken. Sie setzen sich für einen Friedenspakt für den Kongo ein. Wie geht die Kirche vor und welche Erfolgsaussichten kann diese Initiative haben?
Meyer: Dieser sogenannte Sozialpakt der beiden großen Kirchen (ECC und CENCO) ist immens wichtig, es ist die einzige wirklich sichtbare Initiative zivilgesellschaftlicher Natur, um den Konflikt zu befrieden. Bemerkenswert ist der beispielhafte ökumenische Schulterschluss zwischen den protestantischen Kirchen (ECC) und der katholischen Bischofskonferenz (CENCO), die ja auch die größte in Afrika ist. Sie sprechen mit einer Stimme, sie stellen das Verbindende in den Vordergrund.
Vatican News: Worum genau geht es bei dem Ansatz?
Meyer: Es geht darum, die territoriale Integrität des Kongo aufrechtzuerhalten, darum, sich einzusetzen für ein Miteinander der unterschiedlichen Gemeinschaften und ethnischen Gruppen im Kongo. Und ihre Forderungen gehen eben in die Richtung, dass alle Akteure dieses Konfliktes sich dialogbereit zeigen. Aus diesem Grund haben eben beide Kirchen die Initiative unternommen, in alle Richtungen Gespräche zu führen. Dieser Vorstoß, mit den Rebellenführern der M23 zu sprechen, hat in Kinshasa durchaus für Unmut gesorgt, aber die Kirche versteht sich dabei ja auch als pastorale Mission und ist entschieden, hier weiter voranzugehen. Also zusammenfassend: Es geht darum, wegbereitend zu wirken für einen wirklichen Friedensprozess, territoriale Integrität des Kongo und eine Koexistenz der unterschiedlichen Gruppen, die in diesem Riesenland leben.
Kirche angreifbar, aber mit moralischer Autorität
Radio Vatikan: Kirchenvertreter geraten selbst in die Schusslinie des Konfliktes. Wie bedrängt ist die Kirche und wie wirkt sich das auf die Unterstützung der Menschen durch die Kirche aus?
Meyer: Ja, Kirche macht sich angreifbar, weil sie politisch eben aktiv sind. Man muss ja sehen, dass vor allem auch die katholische Bischofskonferenz CENCO von jeher eine der wichtigsten oppositionellen Kräfte war. Es gab in der Mandatszeit von Félix Tshisekedi, vor allem auch in der letzten Zeit, bestimmte Warnschüsse, wenn sich bestimmte Bischöfe politisch und mit Kritik geäußert haben. Aus diesem Grund geht die Kirche schon auch einen diplomatischeren Weg, indem sie die Strategie verfolgt, die Bevölkerung, die Zivilgesellschaft, über die Pfarrgemeindestrukturen zu befähigen, ihre Rechte einzufordern. Was die katholische Kirche ja auszeichnet ist, dass sie bis auch Pfarrgemeindeebene über Strukturen verfügt und daneben etwa die Justice et Paix-Kommission über politische Bildung und dergleichen eine wichtige Funktion hat. Kirchenvertreter sind angreifbar, haben aber immer noch, sonst wären sie auch nicht so mutig, eine gewisse moralische Autorität und genießen eben auch ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, die sämtlichen Regierungsvertretern mit großem Misstrauen begegnet aus verschiedenen Gründen, weil ja auch wirklich die sozialen Grunddienste überhaupt nicht funktionieren und die Korruption das ganze Land wirklich absorbiert.
Wichtig zu sehen ist auch: Kirche ist ja sowohl politisch eine ganz wichtige Kraft, aber dann ist sie von jeher aber auch die Kraft, die der Bevölkerung beisteht, sei es moralisch, aber auch durch tätige Unterstützung über die Caritas-Strukturen. Die Kirche ist der wichtigste Träger von Schulen, im Gesundheitswesen, bei Waisenhäusern, in der Flüchtlingsarbeit. Und das ist eine Kraft, wo im Grunde genommen auch die Politiker wissen: mit dieser Kraft dürfen sie es sich nicht verscherzen.
Diplomatische Ansätze unter Mitwirkung der Afrikanischen Union
Vatican News: Insofern könnte die Kirche also auch ein gewisses Gewicht haben auch hinsichtlich politischer Friedensverhandlungen. - Papst Franziskus hat bereits vor zwei Jahren im Kongo zu Frieden und einem Ende der Gewalt aufgerufen. Nach Goma konnte er aus Sicherheitsgründen damals nicht, nur nach Kinshasa. Der Heilige Stuhl und der Papst hatten sich zuletzt erneut tief besorgt über die Lage im Kongo gezeigt und sich für die Unterstützung des Luanda-Prozesses ausgesprochen. Was ist das für ein Ansatz?
Meyer: Das ist eine der diplomatischen Initiativen, die auf den angolanischen Präsidenten zurückgeht. Da geht es primär darum, einen Waffenstillstand zu erwirken, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen, um dann wirklich einen echten Friedensprozess vorzubereiten. Und dieser Luanda-Prozess, der jetzt schon etwas zurückliegt, soll jetzt zusammen gehen mit einem vorangegangenen Prozess, wo es auch schon darum ging, auf diplomatischem Wege eine Lösung zu finden in Nairobi. Also diese beiden Ansätze sind jetzt zusammengeführt worden von der Afrikanischen Union, und es wurden mandatiert die Präsidenten von Äthiopien, Nigeria und Kenia. Es geht darum, auch hier die unterschiedlichen Konfliktparteien zu einem Dialog aufzurufen, das heißt, die kongolesische Regierung und primär eben auch die ruandische Regierung. – Man müsste dann hier tatsächlich auch noch eine regionale Dimension mit einbeziehen.
Gefahr einer regionalen Ausweitung des Konfliktes
Vatican News: Es gab ja schon vor Monaten Friedensverhandlungen, die gescheitert sind. Die UNO warnt aktuell vor einer regionalen Ausweitung des Konfliktes, weil Nachbarländer mit Interessen und auch mit militärischer Präsenz involviert sind. Wie groß ist diese Gefahr? Und was müsste getan werden, um die Wurzel der Probleme anzugehen?
Meyer: Die Gefahr der regionalen Ausweitung ist akut, das sehen wir genauso. Wir sehen es schon durch die Präsenz von burundischem Militär. Es ist ja so, dass die M23 auf Uvira zumarschiert, das ist im Süden von Bukavu. Nach der Einnahme der wichtigen Provinzhauptstädte Goma und Bukavu geht es nach Uvira, das ist weiter südlich. Und dann scheint sich zu bestätigen, dass sie letztendlich auch die Region Katanga anvisieren, da sind eben wichtige Kobalt- und Kupfermienen, da geht es also ein weiteres Mal um Rohstoffe. Flächenbrand also aus dem Grund, dass burundisches Militär dort ist und zudem die Situation in Burundi selbst auch sehr, sehr angespannt ist. Dort werden Wahlen stattfinden, es sind sehr viele kongolesische Flüchtlinge in Burundi untergekommen, aber sehr, sehr notdürftig, da ist die Situation auch enorm schwierig. Und es gibt ein Gerangel zwischen Kagame, dem ruandischen Präsidenten und dem burundischen Präsidenten. Außerdem hat sich die kongolesische Armee ja auch unterstützen lassen von Söldnertruppen und auch von Soldaten aus Südafrika, die dann aber auch zurückgeschlagen worden sind, wie die Einnahme von Goma zeigte. Also wir haben es ohnehin mit einer absoluten Übermilitarisierung dieser Region zu tun. Wir haben auch Partnerorganisationen in Ituri, mit der Provinzhauptstadt Bunia, wo wir hören, dass auch das ugandische Militär seine Präsenz bereits erhöht hat. Und diese Gemengelage von noch mehr Militär droht das Ganze dann weiter eskalieren zu lassen, anstatt einen Weg in den Frieden zu ermöglichen. Hinzu kommt auch, dass es über 100 verschiedene Milizen zu finden sind im Ostkongo, die sich den größeren Armeen angeschlossen haben, oder, wenn man historisch zurückgeht, von ihnen organisiert und unterstützt worden sind. Da gibt es zahlreiche und es wird dann wiederum nach Interessen gehandelt. Und weil es so viele Interessen gibt, kommt dieser Konflikt auch leider noch nicht zu Ruhe.
Rohstoffhunger? Der Westen mischt mit
Vatican News: Der Kampf um Rohstoffe wird nicht zuletzt von den Ländern im Nordwesten am Laufen gehalten, die immer neue Handys und Computer wollen..
Meyer: Naja, es gibt die unterschiedlichen Lieferkettengesetze, die dafür sorgen sollen, dass die sogenannten Konfliktrohstoffe wie Coltran, Wolfram und Zinn etc. , also dafür zu sorgen, dass diese nicht aus konfliktbehafteten Hintergründen kommen. Aber es gibt immer wieder Wege von Schmuggel und illegaler Ausfuhr, und weil das so ein lukratives Geschäft ist, greifen leider die unterschiedlichen Initiativen von einer sauberen Lieferkette nicht. Die gibt es auf regionaler, internationaler und EU-Ebene, trotzdem gibt es immer wieder Schlupflöcher. Das heißt, es müsste eigentlich eine politische Entschlusskraft geben, die bestehenden Gesetze auch umzusetzen, indem sie konsequent nachvollzogen werden, durch Kontrollmechanismen, durch eine Zertifizierung, die dann auch korrekt vonstatten geht, aber da gibt es eben immer wieder Schlupflöcher und das ist ein Riesenproblem.
Die Rohstoffe sind das eine, aber sie gehen auch mit vielen ökologischen Problemen einher. Der Kongo ist eine Region, die auch von der Landwirtschaft ein enormes Potential hat, das sind die fruchtbarsten Böden, da ist Kaffee-, Kakao-, Tee-Anbau möglich. Es geht natürlich auch um eine Lebensgrundlage durch Lebensmittel, es sollte ja nicht sein, dass der lukrative Plantagenanbau, Getreide und das, was auf den Teller kommt, verdrängt wird. Aber potentiell, mit den richtigen Reformen, sollte auch der Bevölkerung ermöglicht werden, eine Auswahl zu haben, was sie als Lebensgrundlage sich aufbauen möchten. Weile s aber einen verstetigten Konflikt gibt, haben sie diese Wahlmöglichkeit nicht. Und aus diesem Grund sind ja viele auch darauf angewiesen, in diesen Mienen bei absolut menschenunwürdigen Bedingungen sich zu verdingen, sie sind aber wirklich am letzten Ende dieser langen Kette, an der eben zu viele andere dann mitverdienen.
Vatican News: Möchten Sie noch etwas zur Konfliktlage und Ansätzen der Befriedung ergänzen?
Meyer: Für uns ist der eingeschlagene Weg der beiden großen Kirchen eine wirkliche Option. Aus unserer Sicht wünschen wir uns wirklich, dass verantwortliche Politiker, sei es jetzt unserer Regierung, die sich ja konstituieren muss in Deutschland, sei es auch der EU, sich einsetzen für einen Friedensprozess, der regional ansetzen muss, der die Zivilgesellschaft mit beteiligen muss.
(vatican news – pr)
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