Brasilien: Kirche kämpft gegen Landraub und Sklaverei
Károly Koller – Brasilien
Ein schwarzgekleideter Mann mit dunkler Sonnenbrille und Kapuze steht umzingelt von einer Gruppe Kleinbauern. Einer aus dem Kreis filmt den vermummten Mann mit dem Handy und fordert ihn auf, mit seinen Arbeitern das Gelände des Dorfes zu verlassen. „Das ist eine Drohung!“, erwidert der Mann in Schwarz. „Wir machen nur unsere Arbeit. Ihr habt nicht das Recht, uns zu behindern.“
Dieses Video erreichte am 16. Mai 2025 Dona Antonia Calixto de Carvalho auf ihrem Handy. Dona Antonia ist Mitarbeiterin der CPT in Coroatá, einer vom Amazonas-Regenwald umgebenen kleinen Gemeinde im Norden Brasiliens. Sie steht in ständigem Kontakt mit den bedrohten Kleinbauern.
„Ich wusste schon, dass sie kommen würden‟, sagt Dona Antonia. „Seit zwei Tagen stehen die Bulldozer bereit. Mit Drohnen haben sie das ganze Gebiet abgefilmt, sind in die Dörfer hineingegangen, obwohl sie vor Gericht immer behaupten, das Gebiet sei unbewohnt. Die nehmen sich das einfach heraus. Aber wenn die Bewohner zu ihnen kommen und sie am Roden hindern, dann gilt das als Verbrechen.‟
Dona Antonia begleitet seit 22 Jahren diese Gruppe von Kleinbauern. Sie kennt jede der 360 Familien, die in verstreuten Dörfern auf einem Gebiet von insgesamt 14.000 Hektar leben.
„Hier in dieser Gegend leben noch sehr viele traditionelle Gemeinschaften. In den achtziger, neunziger Jahren gab es hier viele Konflikte um Land. Unsere Diözese hat die Ermordung von insgesamt 30 Dorfvorstehern zu beklagen. Und seit 2020 große Agrofirmen in die Gegend gekommen sind, vergeht kein Monat mehr, ohne dass etwas passiert.‟
Landraub und Sklaverei ziehen sich durch die gesamte Geschichte Brasiliens. Schon zu Beginn haben die portugiesischen Kolonialherren die indigene Bevölkerung versklavt und deren Land besetzt. Während der Militärdiktatur ab 1964 erreichten die Vertreibungen einen neuen Höhepunkt, vor allem im Amazonasbecken. Landräuber agierten mit staatlicher Rückendeckung. Die einfache Bevölkerung war ihnen ausgeliefert, erklärt Ranulfo Pelloso, der in dieser Zeit für die CPT tätig war.
„Die Konflikte waren so heftig, die Ermordung von Landarbeitern, die Massaker an Indigenen im Amazonasgebiet so hemmungslos, dass die Kirche unmöglich länger schweigen konnte.‟
Im Juni 1975 traf sich die Kirchenführung aus dem Amazonasbecken zu einer Konferenz, um sich über die Situation der Menschenrechte in ihren Diözesen zu beraten. Während der Militärdiktatur war das sehr gewagt, erinnert sich Ivo Poletto, der damals als junger Priester das Treffen mit organisierte.
„Wir vereinbarten, dass während der Sitzungen weder Tonaufnahmen noch Notizen, schon gar keine Fotos gemacht werden durften. Diese Dinge nutzte die Militärdiktatur, um Personen zu identifizieren, sie festzunehmen und zu foltern.‟
Tatsächlich wurden die Teilnehmer der Konferenz bespitzelt. Etwa 200 Meter vom Tagungsort entfernt entdeckten sie einen Kleintransporter mit Abhöranlagen. Davon unbeeindruckt beschlossen die Bischöfe einstimmig die Gründung einer Kommission zum Schutz der Landbevölkerung, die etwas später den Namen „Comissão Pastoral da Terra“, kurz CPT erhielt.
„Vom Anfang an war sie zum einen in ihrer theologischen, pastoralen und spirituellen Ausrichtung eng mit der Kirche verbunden‟, erinnert sich Ivo Poletto. „Zum anderen war sie als zivile Organisation formal unabhängig, um in der Zeit der Diktatur wirken zu können.‟
Schon lange vorher engagierten sich überall in Brasilien die Basisgemeinden für den Schutz der bedrohten Landbevölkerung. Die CPT hat diese Initiativen vernetzt und ihre Kräfte gebündelt, erklärt der italienische Missionar Padre Maurizio Cremaschi, der seit den siebziger Jahren in der CPT tätig ist.
„CPT und Basisgemeinden gründen in derselben Spiritualität, in derselben Auffassung von Kirche und Gesellschaft. Die Kirche verstanden sie als den inspirierenden Geist, der die Menschen anregt, sich als die Protagonisten der Geschichte zu entdecken.‟
In diesem Sinne klärt die CPT die Menschen über ihre Rechte auf, gibt ihnen die Möglichkeit, sich zu versammeln, fördert Führungspersönlichkeiten. So entstand im Umfeld der CPT allmählich eine Vielzahl unabhängiger Bürgerinitiativen und ziviler Organisationen. Diese trugen wesentlich zur Redemokratisierung Brasiliens nach dem Ende der Militärdiktatur bei. Ein weiterer Schwerpunkt in der Arbeit der CPT besteht darin, einen jährlichen Bericht über Menschenrechtsverletzungen im ländlichen Raum zu veröffentlichen.
„Bis vor kurzem waren diese Berichte der CPT‟, betont Maurizio Cremaschi, „die einzigen verfügbaren Quellen. Die Ermordung eines Landarbeiters war keine Nachricht wert. Polizei und Justiz ignorierten sie.‟
Mit ihren Berichten schafft die CPT eine Grundlage für wissenschaftliche Aufarbeitung und politisches Handeln. Trotzdem versteht sie sich nicht als Lobbyorganisation. Sie möchte den ganzen Menschen mit allen seinen physischen, psychischen und spirituellen Bedürfnissen und seiner ganzen Würde vor Gott ansprechen. Nach Jahrzehnten des Engagements in der CPT motiviert das Padre Maurizio immer wieder aufs neue.
„Wenn eine Frau oder ein Mann, der nie als Person gesehen wurde, seine eigene Würde entdeckt, sich zu Wort meldet sich Gehör verschafft, sich als Kind Gottes erlebt – darauf kommt es an‟
Zu diesen Menschen gehört Dona Antonia. Ihr ganzes Leben hat sie den Kleinbauern und Landarbeitern gewidmet. Sie sagt, nach über 20 Jahren sei die CPT zu ihrer Familie geworden.
„Ich selbst bin Vertriebene und habe am eigenen Leib erlebt, was das heißt, alles zu verlieren. In der CPT habe ich gelernt, für mich und andere zu kämpfen. Ich habe gelernt wer ich bin. In der CPT habe ich eine neue Heimat gefunden.‟
(vatican news)
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