Malteser in der Ukraine: Seelische Not wächst mit jedem Kriegstag
„Von 50 Menschen, die in eine Suppenküche kommen, brauchen 47 auch psychologische Hilfe“, erklärt Pavlo Titko, der Leiter der Hilfsaktionen des Malteserordens in der Ukraine, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs 2022 habe sich die seelische Not der Menschen dramatisch verschärft. „Überhaupt ist jeder, auch jedes Kind, jeder Jugendliche vom Krieg betroffen.“
Die psychosoziale Unterstützung ist längst zur ebenso zentralen Aufgabe geworden wie die Verteilung von Lebensmitteln, Winterkleidung oder Generatoren. Besonders stark betroffen seien laut Titko Familien, in denen Angehörige gefallen oder verwundet sind, oder Soldaten, die traumatisiert von der Front zurückkehren. „In den Familien gibt es viele Probleme im psychischen Bereich. Manche Soldaten bringen mit ihrer Rückkehr nicht nur Freude, sondern auch neue Belastungen für die Angehörigen.“
Kindheit im Luftschutzraum
Die permanente Bedrohung durch Luftangriffe lässt Kindern kaum Raum für Unbeschwertheit. „In der Schule meiner Kinder gab es im Winter in drei Monaten nur fünf Tage ohne Bombenalarm“, berichtet Titko. Der Unterricht finde oft in Schutzräumen statt oder müsse ganz ausfallen. „Einige Kinder verkraften das besser, andere weinen – jeder ist betroffen.“
Der Malteserorden beschäftigt derzeit 90 Therapeutinnen und Therapeuten im ganzen Land – von Lwiw im Westen bis Charkiw und Saporischschja im Osten. Dank des internationalen Netzwerks „Malteser International“ können jedes Jahr mehrere Zehntausend Menschen erreicht werden. Die Hilfe reicht von Einzel- und Gruppentherapien über Familienberatung bis hin zu Programmen an Schulen.
Materielle Hilfe allein reicht nicht mehr
Obwohl der Malteserorden weiterhin materielle Hilfe leistet – darunter Lebensmittelpakete, Hygieneartikel und Winterkits –, sei es vor allem die unsichtbare Last auf den Schultern der Menschen, die das Land zunehmend erschüttert. Die Suppenküchen, die bereits vor dem Krieg etabliert wurden, laufen weiter, aber sie dienen inzwischen auch als erste Anlaufstelle für seelische Hilfe.
„Wir haben 30 Jahre lang etwas aufgebaut, und dadurch konnten wir in diesem Krieg so viel den Menschen helfen“, betont Titko. Die jahrzehntelange Präsenz der Malteser in der Ukraine habe schnelle und koordinierte Reaktionen ermöglicht – doch auch die Helfer selbst stoßen an Grenzen. „Die Belastung, auch für unsere Mitarbeitenden, ist enorm. Die Menschen sind physisch sehr müde.“
Ein ganzes Land unter seelischem Druck
Krieg ist in der Ukraine längst nicht mehr nur eine politische oder militärische Realität – er ist persönlicher Alltag. „Bei jedem ist jemand im Krieg, bei jedem ist schon jemand tot oder begraben, bei jedem ist jemand an der Front oder steht kurz davor, mobilisiert zu werden“, schildert Titko. Diese allgegenwärtige Angst und Trauer wirke tief in alle Lebensbereiche hinein. Dennoch versuchten die Ukrainerinnen und Ukrainer, „irgendwie weiterzuleben, weiterzuarbeiten“.
Inmitten der Trümmer des Alltags bauen Hilfswerke wie der Malteserorden Brücken – aus Mitgefühl, professioneller Hilfe und einem festen Willen, nicht aufzugeben. Denn eines steht für Pavlo Titko fest: „Jeder ist betroffen – und jeder verdient Hilfe.“
(kap - mg)
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