Suche

Der Kapuziner Roberto Pasolini bei seiner ersten Adventspredigt Der Kapuziner Roberto Pasolini bei seiner ersten Adventspredigt   (ANSA)

Adventspredigt im Vatikan: Was kirchliche Erneuerung bedeutet

Was bedeutet kirchliche Erneuerung und was nicht? Um diese Frage kreiste die zweite Adventsmeditation des päpstlichen Hauspredigers Roberto Pasolini an diesem Freitag im Vatikan.

„Kirchliche Erneuerung fällt niemals mit der Versuchung zusammen, alles einheitlich zu gestalten“, arbeitete der Kapuzinerpater in seiner langen Predigt vor dem Papst und der römischen Kurie heraus. „Eine Kirche, die sich erneuert, ist keine einheitliche Kirche, sondern eine Kirche, die in der Lage ist, Vielfalt anzunehmen und es dem Heiligen Geist zu überlassen, sie in einer Harmonie zu ordnen, die größer ist als unsere Maßstäbe.“

Einheit ist nicht Uniformität 

Pasolini verdeutlichte dies unter anderem an der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel. Aus dem Bau der Stadt Babel, mit ihrem hohen Turm, einer einzigen Sprache und Gleichförmigkeit bis in jeden Ziegelstein, spreche das Bemühen, einen „einzigen Sammelpunkt“ für die Menschheit zu schaffen, so der Ordensmann. Es sei die Illusion einer vermeintlichen Einheit und Einstimmigkeit, der „Traum von einer Welt, in der niemand anders ist, in der niemand Risiken eingeht, in der alles vorhersehbar ist“.

Der Prediger stellte einen Bezug zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts her und erinnerte: „Immer wenn Einheit durch die Unterdrückung von Unterschieden erreicht wird, ist das Ergebnis nicht Gemeinschaft, sondern Tod.“ Im heutigen Zeitalter der sozialen Medien und Künstlichen Intelligenz sei die Homogenisierung subtiler, so Pasolini weiter, und er verwies auf „Algorithmen, die auswählen, was wir sehen, und Informationsblasen Gleichgesinnter schaffen“ sowie auf „künstliche Intelligenzen, die Sprache und Denken standardisieren und die Komplexität des Menschen auf vorhersehbare Schemata reduzieren“. Auch die Kirche sei vor Tendenzen der Gleichmacherei nicht gefeit.

Keine Bestrafung

Die durch Gott in Babel ausgelöste Sprachverwirrung sei in diesem Kontext eine „Therapie“, hob Pasolini mit Blick auf die Erzählung von Babel hervor. Gott habe „nicht bestrafen, sondern eine tödliche Fehlentwicklung verhindern“ und die „gefährliche Utopie“ der Gleichförmigkeit abwenden wollen. Gott schaffe, indem er trenne, betonte der päpstliche Hausprediger, „der Unterschied ist die Grammatik der Existenz selbst“. Wenn die Menschheit dagegen Uniformität wähle, kehre sie den Schöpfungsimpuls um und suche „eine Form der Sicherheit, die mit der Verweigerung der Freiheit einhergeht“.

Die spiegelbildliche Erzählung zu Babel sei die Erzählung von Pfingsten im Neuen Testament, führte Pasolini weiter aus. In der Apostelgeschichte verstanden Menschen aus verschiedenen Völkern, die verschiedene Sprachen sprachen, die Apostel jeweils in ihrer eigenen Sprache (vgl. Apostelgeschichte 2,1-12). Sprachliche Vielfalt wurde weder abgeschafft noch schrieb der Heilige Geist eine einzige universelle Sprache vor.

„Die Vielfalt bleibt bestehen, aber sie trennt nicht mehr. Es gibt keine Einheitlichkeit, und doch gibt es Gemeinschaft. Es gibt keine einzige Stimme, und doch hören alle dieselbe frohe Botschaft. Pfingsten ist Gottes Antwort auf die Angst von Babel: nicht die Unterschiede beseitigen, um Einheit zu schaffen, sondern sie in das Gewebe einer größeren Gemeinschaft verwandeln.“

Erneuerung ist „geistlicher Kampf"

Pasolini entfaltete seine Gedanken entlang verschiedener Stationen der Heiligen Geschichte, vom Turmbau zu Babel bis zur Rückkehr Israels aus dem Exil, und er stellte auch Bezüge zum heiligen Franz von Assisi und zum Zweiten Vatikanum her.

Anhand der bewegten Geschichte rund um den mühsamen Wiederaufbau der Mauern Jerusalems und des Tempels zeigte er als zweites Element das Ringen auf, das mit kirchlicher Erneuerung einhergeht. Die Mauerbauer hätten mit einer Hand gearbeitet und mit der anderen die Waffe ergriffen. Pasolini deutete dieses Ringen positiv als Bild eines geistlichen Kampfes. Erneuerung sei „niemals ein naives oder friedliches Unterfangen“, sondern erfordere „einen ständigen geistlichen Kampf“, so Pasolini:

„Denn die Taufe befähigt uns nicht nur zum Aufbau, sondern auch zum Widerstand gegen alles, was dem Evangelium entgegensteht. Wer aufhört zu kämpfen – gegen Stolz, Faulheit, Illusionen oder Ideologien – hört auch auf, den Leib Christi aufzubauen. Die Kirche erneuert sich in dem Maße, wie ihre Mitglieder bereit sind, in einem authentischen geistlichen Kampf zu bleiben, ohne sich in die Abkürzungen des reinen Konservatismus oder der unkritischen Innovation zu flüchten.“

Als endlich das Fundament des Jerusalemer Tempels gelegt war, gab es einen Moment kollektiver Freude, aber auch Weinen im Volk, der „Gesang“ sei nicht einstimmig gewesen, erinnerte der Prediger (vgl. Esra 3,12-13). Wiederaufbau sei niemals „ein geradliniger Weg: „Er besteht aus Begeisterung und Tränen, aus neuen Impulsen und tiefem Bedauern.“ Daraus leite sich für die Gemeinschaft eine Herausforderung ab, benannte Pater Pasolini ein drittes Element kirchlicher Erneuerung.

Gemeinschaft als Ort unterschiedlicher Stimmen

„Gemeinschaft ist niemals ein homogenes Gefühl, sondern der Ort, an dem unterschiedliche Stimmen lernen, einander nahe zu bleiben, ohne sich gegenseitig auszulöschen.“

„Jede echte Erneuerung erfordert die Bereitschaft, die Last der Gemeinschaft zu tragen. Die Kirche wiederaufzubauen bedeutet, diese Verflechtung zu akzeptieren: das Zusammenleben von Begeisterung und Nostalgie, von entstehenden Hoffnungen und noch blutenden Wunden. Gemeinschaft ist niemals ein homogenes Gefühl, sondern der Ort, an dem unterschiedliche Stimmen lernen, einander nahe zu bleiben, ohne sich gegenseitig auszulöschen.“

Es brauche zudem „die Fähigkeit, auch auf das zu hören, was nicht mit unserer Sensibilität übereinstimmt, den Schmerz des anderen anzunehmen, ohne ihn zu beurteilen, sich von seiner Geschichte berühren zu lassen“, so der päpstliche Hausprediger weiter. In dieser geduldigen Fähigkeit, gemeinsam zu „leiden”, werde die Kirche wieder wirklich „zum Zuhause für alle“.

Aktuelle Lage der Kirche differenziert betrachten

Pasolini rief in seiner Predigt dazu auf, auch die aktuelle Lage der Kirche in dieser Optik zu begreifen. „Kritische Elemente“ und „Zeichen überraschender Vitalität“ stünden heute nebeneinander, schlug er einen differenzierten Blick vor. Niedergang und Aufbruch schlössen sich nicht gegenseitig aus, hob er hervor. Nicht angebracht seien Ideologien und Schuldzuweisungen, wohl aber ein Blick in die Zukunft ohne Angst und Erneuerung „durch bescheidene und konkrete Gesten“ jedes Einzelnen.

„Niemand kann allein die ganze Kirche erneuern. Und doch erneuert sich die Kirche nur durch den kleinen Teil, den jeder Tag für Tag wiederaufzubauen bereit ist. Letztendlich ist die Kirche nichts, was wir nach unseren Kriterien aufbauen können: Sie ist ein Geschenk, das wir empfangen, bewahren und dem wir dienen müssen.“

Für Pater Roberto Pasolini ist es der zweite Durchgang von Adventspredigten im Vatikan. Papst Leos Vorgänger Franziskus hatte den italienischen Kapuziner als päpstlichen Hausprediger zum Nachfolger seines Mitbruders Raniero Cantalamessa ernannt, der das Amt 44 Jahre lang innehatte.

(vatican news – pr)
 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

12. Dezember 2025, 14:12