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Tausende von Menschen erleben 1950 auf dem Petersplatz mit, wie Pius XII. das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel verkündet Tausende von Menschen erleben 1950 auf dem Petersplatz mit, wie Pius XII. das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel verkündet  Die Geschichte

Buchtipp: Geschichte der Päpste seit 1800

So groß das Interesse am neuzeitlichen Papsttum unter Historikern auch ist – Überblicks-Darstellungen dazu sind dünn gesät. In diese Lücke stößt nun Jörg Ernesti mit einer „Geschichte der Päpste seit 1800“ vor.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Dabei mag man sich zunächst fragen, warum der Augsburger Kirchenhistoriker den Ausschnitt nicht enger wählt; das bisherige Standardwerk von Georg Schwaiger aus dem Jahr 1999 beginnt seine Darstellung erst mit Leo XIII. zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Doch Ernestis Hinweis auf die Zäsur nach dem Tod Pius VI.‘ in französischer Gefangenschaft überzeugt. Das Papsttum stand ein Jahrzehnt nach dem Ausbruch der französischen Revolution tatsächlich vor dem Aus, und kaum einer wollte damals darauf wetten, dass es sich noch einmal aus dem Staub erheben würde.

An diesem Hebelpunkt setzt Ernesti an – und folgt der wechselvollen Geschichte der römischen Petrusnachfolger von dieser Stunde Null bis ins Heute. Er schließt damit auch an das Werk des Altmeisters Ludwig von Pastor an, das genau 1799 endet. Natürlich legt das die Messlatte für Ernestis Schilderung ziemlich hoch. Sie fällt zwar trotz der über 500 Seiten weniger monumental aus als das Pastor’sche, doch besteht sie den Test glänzend. Dieses Handbuch verbindet flüssig geschriebene, gut lesbare Schilderungen mit profundem Wissen und Klarheit der Analyse. Kurz gesagt: Das neue Standardwerk liegt vor uns auf dem Tisch.

Pius VII. ging aus dem Zweikampf mit Napoleon als Sieger hervor
Pius VII. ging aus dem Zweikampf mit Napoleon als Sieger hervor

Das neue Standardwerk

Den Anfang macht das Pontifikat Pius VII.‘, der als „Sieger“ im „Zweikampf“ mit Napoleon vorgestellt und dessen laufendes Seligsprechungsverfahren mit lobenden Worten bedacht wird. Differenziert fällt die Beurteilung Pius IX.‘ aus, den der Autor als „eine der schillerndsten und umstrittensten Gestalten der jüngeren Papstgeschichte“ bezeichnet. Im Gegensatz zu Kardinal Gerhard Ludwig Müller in „Der Papst – Sendung und Auftrag“ vermutet Ernesti durchaus einen Zusammenhang zwischen dem traumatischen Verlust des Kirchenstaates und Pius‘ Bestreben, stärkere Autorität im religiösen und innerkirchlichen Bereich einzufordern; diesen Zusammenhang hält er für „die große offene Frage bei der Bewertung dieses Pontifikats“. Immerhin markiere Pius IX. auch den Startpunkt der Entwicklung, dass Päpste weniger über die ihnen qua Amt zukommende Vollmacht und mehr „aufgrund ihrer persönlichen Ausstrahlung“ öffentliche Anerkennung finden: Stichwort „Medienpäpste“.

Pius IX. war einer der ersten „Medienpäpste“
Pius IX. war einer der ersten „Medienpäpste“

Leo XIII. war auch ökumenisch interessiert

Ausgesprochen interessant ist Ernestis Würdigung des Pontifikats von Leo XIII.: Der Pecci-Pontifex wird auch als Ökumeniker und als Mystiker skizziert. Mit einem Anflug von Erstaunen notiert der Historiker, dass für Leo wie übrigens auch für Benedikt XV. und Pius XI. offenbar nie ein Seligsprechungsprozess angedacht worden sei, und erweist damit, dass er anders als etwa der Münsteraner Historiker Hubert Wolf keine Ängste vor einer übermäßigen „Sakralisierung“ des neuzeitlichen Papsttums hegt. Eher skeptisch wirkt allerdings Ernestis Haltung zur 1954 vollzogenen Heiligsprechung Pius X.‘; er macht den Sarto-Papst für die Härte des antimodernistischen Kampfes verantwortlich, warnt allerdings davor, ihn lediglich als „Traditionalisten“ zu deuten. „Seine pastoralen Reformen waren nicht bloß ein Revival des Tridentinums oder ein Aufguss des 19. Jahrhunderts, sondern sie waren zu ihrer Zeit wegweisend und revolutionär.“

Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs im bombardierten römischen Stadtviertel S. Lorenzo
Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs im bombardierten römischen Stadtviertel S. Lorenzo

Warum schwieg Pius XII.?

An der Friedensinitiative Benedikts XV.‘ im Ersten Weltkrieg hebt Jörg Ernesti die „Konkretheit“ hervor. Der Papst habe sich „eindeutig nicht auf moralische Appelle und religiöse Weisungen beschränken“ wollen (eine interessante Bemerkung, wenn man sie auf der Folie der späteren Haltung Pius XII.‘ im Zweiten Weltkrieg liest), und überhaupt verdiene sein Pontifikat „sicher eine neue, positivere Würdigung“. Die Lateranverträge von 1929, durch die der Vatikanstaat entstand, verteidigt Ernesti deutlich; dass die Kirchenspitze unter dem Druck Mussolinis der katholischen Volkspartei die Unterstützung entzog, ist in seinen Augen eine unvermeidliche „Gegenleistung“. Das Denken und Wirken von Pius XII. wird in seiner ganzen Breite ausgefaltet und keineswegs auf die Jahre des Zweiten Weltkriegs beschränkt, doch natürlich beschäftigt sich Ernesti auch ausführlich mit Pacellis Schweigen zur Judenvernichtung. Er sieht hier ein ganzes Bündel von Motiven, auch die eine oder andere „Fehleinschätzung“, aber sicher keine antisemitischen Elemente. Pius habe zwar angesichts der Nazi-Verbrechen als „kluger Diplomat agiert, aber nicht wie ein alttestamentlicher Prophet“; dass man ihm das posthum zum Vorwurf mache, hänge wohl mit der moralischen Aufladung zusammen, die der Petrusdienst im Lauf der Jahrzehnte erfahren habe und an dem nun frühere Amtsinhaber gemessen würden.

Johannes XXIII. und (links am  Bildrand) sein späterer Nachfolger Montini (Paul VI.)
Johannes XXIII. und (links am Bildrand) sein späterer Nachfolger Montini (Paul VI.)

Paul VI.: Ein Schlüsselpontifikat

Von den mittlerweile zugänglichen Vatikan-Akten zum Pacelli-Pontifikat erwartet sich Ernesti keine „grundlegende Revision des Pius-Bildes“; dem Nachfolger Johannes XXIII. schreibt er zwar einen starken „Wandel im Auftreten und in der Selbstdarstellung des Papstes“ zu, hält seine Einstufung als progressiv jedoch für ein Missverständnis. Nicht bei Johannes, sondern erst im Wirken Pauls VI. macht er ein „Schlüsselpontifikat“ aus. Montini wird als der eigentliche „Konzilspapst“ gewertet, der die Kirche in die Moderne geführt, die Kurie und die Liturgie reformiert sowie die Bischofssynoden aufs Gleis gesetzt habe. Dabei werden zwar auch Ambivalenzen und Momente des Scheiterns behandelt, etwa bei „Humanae vitae“ oder in der vatikanischen Ostpolitik, doch insgesamt sticht Pauls Pontifikat in Ernestis Schilderung hervor. Der Papst sei der nachkonziliaren Krise der Kirche nicht verbittert begegnet, sondern habe klug reagiert, indem er den Akzent stärker auf Glaubenswissen, Spiritualität und Heiligenverehrung gelegt habe. Zum Kurzzeit-Pontifikat Johannes Pauls I.‘ schreibt Ernesti, er hoffe, dass dieser „nicht durch eine Kriminalgeschichte im Gedächtnis bleibt“, sondern durch die von ihm gezeigte Bescheidenheit und Güte.

Johannes Paul II.
Johannes Paul II.

Johannes Paul II., eine komplexe Persönlichkeit

Im polnischen Papst Johannes Paul II. sieht der Historiker starke Kontinuitätslinien zum Vorgänger Paul VI.; er lässt „eines der spannendsten“ Pontifikate ausführlich Revue passieren, ohne Skandale (Missbrauch, IOR) auszusparen, und zieht schließlich ein zwiespältiges Fazit. Während der Kampf des Papstes gegen das kommunistische System und für den Frieden weithin gewürdigt werde, stoße seine Sexualethik vor allem in westlichen Ländern auf Widerstand. „Es handelt sich bei Johannes Paul II. unleugbar um eine komplexe, schwer auf einen Nenner zu bringende Persönlichkeit. Unverkennbar konservative, ja sogar autoritäre Züge stehen progressiven gegenüber.“

Franziskus mit seinem emeritierten Vorgänger Benedikt
Franziskus mit seinem emeritierten Vorgänger Benedikt

Franziskus als eigenwilligerer Neuerer

Differenziert und um Fairness bemüht schildert Ernesti die Jahre des deutschen Papstes Benedikt XVI.‘ mit den Höhen und Tiefen seiner Amtszeit. Joseph Ratzinger erscheint hier als profilierter Theologe, doch ohne „besonders gute Menschenkenntnis“. Nach Vermutung des Autors hat Benedikts Rücktritt durchaus etwas mit dem vorausgegangenen „Vatileaks“-Skandal zu tun. Kritische Fragen stellt Ernesti zu einzelnen Aspekten des Auftretens Benedikts nach seiner Emeritierung, doch weiß sich der Historiker kaum zu erklären, warum Benedikt gerade „in seinem Heimatland so stark polarisiert hat“. Ob das am „Habitus des Papstes“ lag, der „nicht den deutschen Geschmack traf“, oder daran, dass man Ratzinger in Deutschland gedanklich immer „eng mit der Agenda des polnischen Papstes verbunden“ hat?

Hochinteressant sind Ernestis Einlassungen zum noch andauernden Pontifikat von Papst Franziskus. Er zeichnet den Argentinier als „kreativ und entscheidungsstark, nicht selten aber auch eigenwillig“. Franziskus stilisiere sich als Neuerer, stehe aber gleichzeitig „unverkennbar in einer Traditionslinie mit seinen Vorgängern der letzten 150 Jahre“. Das gelte sowohl für die Außenpolitik als auch für innerkirchliche Schwerpunkte, ja auch für die von ihm betonte Einfachheit der Lebensführung. „Die Spannung von historischer Kontinuität und Noch-nicht-Dagewesenem ist für den Betrachter der kirchlichen Zeitgeschichte das Interessante an diesem Pontifikat.“

Pius XI. bei Filmaufnahmen 1931
Pius XI. bei Filmaufnahmen 1931

Die Diplomatenpäpste

Ein Essay zeichnet abschließend „Entwicklungslinien“ der Papstgeschichte seit 1800 nach; die Zeit seit 1870, als der Kirchenstaat unterging, fasst Ernesti dabei unter die Überschrift „Die Erfindung des modernen Papsttums“. Es werde noch zu wenig gesehen, dass sechs der sieben Päpste, die zwischen 1878 und 1978 regierten, Diplomaten gewesen seien, erklärt er und weist auch darauf hin, dass seit Pius X. immer wieder nichtadlige „Männer aus dem Volke“ zum Nachfolger Petri aufgestiegen seien, was die Frage aufwerfe, ob die päpstliche Amtsausübung dadurch „einen anderen Charakter“ angenommen habe.

Ein inspirierendes, kenntnisreiches Opus, dessen Einschätzungen und Analysen gut durchdacht und nachvollziehbar begründet wirken. Dieses Buch ersetzt eine ganze Regalreihe von Werken zu einzelnen Päpsten der letzten Jahrhunderte. Unbedingt zu empfehlen!

Jörg Ernesti: Geschichte der Päpste seit 1800. Herder Verlag Freiburg 2024. Gebunden ca. 38 Euro.

(vatican news)
 

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