Unser Sonntag: Freut Euch im Herrn
Weihbischof Christoph Hegge
Mt 11,2-11
3. Adventssonntag (A)
„Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Denn der Herr ist nahe.“ (Phil 4, 4.5) Freude und Ermutigung stehen im Mittelpunkt des 3. Adventssonntags, denn, so prophezeit bereits der Prophet Jesaja: „Man wird die Herrlichkeit des Herrn sehen, die Pracht unseres Gottes.“ (Jes 35, 2)
Und doch treiben die Menschen Unsicherheit und Ängste um, damals wie heute. „Müssen wir auf einen anderen warten?“, fragen die Jünger des Johannes. (Jes 35, 4) Jesus selbst wendet das Blatt, indem er eine verheißungsvolle und zugleich provozierende Antwort gibt: „Geht und berichtet…, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“
Jesus versammelt Mensch in seinem Geist
Die Vision des Propheten Jesaja beginnt auf neue, alternativlose Weise inmitten der Geschichte der Menschheit, wo Jesus Christus in Wort und Tat das Heil der Menschen wirkt, dort, wo Christus damals wie heute Menschen in seinem Geist versammelt und sich ein Friede, eine Freude und eine Dankbarkeit einstellt, die von der Ankunft des Reiches Gottes kündet.
Nicht dass Johannes der Täufer an Jesus gezweifelt hätte, aber möglicherweise doch die Jünger des Täufers. Für Johannes Chrysostomus, im 4. Jahrhundert Patriarch von Konstantinopel, war es undenkbar, dass der Täufer nicht gewusst hätte, wer Jesus ist. Er hatte bei der Begegnung der hochschwangeren Frauen Maria und Elisabeth bereits im Leib seiner Mutter vor Freude über die Gegenwart Jesu gehüpft.
Johannes sucht Glaubensgewissheit für seine Jünger
Johannes ist in diesem Glauben nicht unsicher, aber für seine Jünger sucht er Glaubensgewissheit. Deshalb schickt der Täufer seine Anhänger zu Jesus, damit sie selbst sich ein Urteil bilden können und sehen, wer er ist. Jesus lässt die Johannes-Jünger etwas von der anbrechenden Erlösung sehen. Er macht sie zu Augenzeugen. Er zeigt ihnen, was der Prophet Jesaja bereits verheißen hatte: „Seht dar, euer Gott.“ Jetzt ist Heilszeit. Jetzt ereignet sich Heilung und Heil inmitten der Menschen. Jesu Heilshandeln, dass Taube hören und Lahme gehen, beschreibt er selbst als Tatsachen und nicht als irreale Idee. Werden die Jünger des Johannes – und letztlich wir alle – darin das Handeln und die Hand Gottes erkennen?
Dass dies keine abstrakte Frage und kein unbegründeter Zweifel ist, bezeugen in der Geschichte des Christentums Menschen, die in ihrer persönlichen unheilvollen Geschichte in Christus echten Frieden und tiefe Freude, Versöhnung und Dankbarkeit gefunden haben.
Das erinnert mich an einen Besuch des kleinen Dorfes Sassello vor einigen Jahren. Es ist der Heimat- und Sterbeort der italienischen Jugendlichen Chiara Badano. Diese Jugendliche starb dort im Jahr 1990 im Alter von 18 Jahren an einem Tumor. Ihr Zeugnis bis zum Tod war derart von einem tiefen Gottvertrauen erfüllt, dass sie für ihre Mitschüler, die Dorfgemeinschaft und darüber hinaus ein großes Licht des inneren Friedens und tiefer Freundschaft mit Jesus war. Papst Benedikt hat sie am 25. September 2010 auf Bitten vieler junger Menschen seliggesprochen. Bei meinem Besuch erzählten mir ihre beste Freundin und ihre Eltern, dass Chiara angesichts ihrer durch den Tumor verursachten Querschnittslähmung sagte: „Jeder Augenblick ist kostbar; er darf nicht vergeudet werden. Wenn er gut gelebt wird, hat alles einen Sinn. Alles relativiert sich, auch in den schrecklichsten Momenten, wenn wir es Jesus schenken.“
Hier bin ich, Jesus
Chiara Badano hörte nicht auf, fest daran zu glauben, dass Jesus neben ihr steht und sie Augenblick für Augenblick begleitet. Am Tag vor ihrem Tod sagte sie zu ihrer Mutter: „Weißt du, Mama, was ich gemacht habe? Ich habe gesungen. Ich habe gesungen: Hier bin ich, Jesus, auch heute, vor dir, ganz neu, so wie du mich willst.“ Chiara glaubte wirklich, auf dem Weg Jesu zu stehen und zu gehen, der zum Leben führt, ja, der das Leben ist. Darum konnte sie bis zum Ende im Frieden und in tiefer Freude sein. Ihre letzten Worte richtete sie an ihre Mutter: „Ciao Mama; sei glücklich; denn ich bin es.“ Dann starb sie. – Solch ein Sterben kann man nicht improvisieren. Es setzt ein Leben mit Christus, unserem Bruder, Erlöser und Herrn voraus, der oft von uns unerkannt an unserer Seite steht und sich nichts sehnlicher wünscht, als dass wir ihn hineinlassen in unser tägliches Leben.
Einander von Herzen verstehen
Auch wir brauchen Geduld und ein starkes Herz, eine tiefe Ausdauer in der Liebe und im Frieden, trotz aller Widrigkeiten des Lebens, trotz persönlicher Enttäuschungen, Krankheiten oder den nahenden eigenen Tod. Und wir können es, weil wir, besonders in diesem Heiligen Jahr, als „Pilger der Hoffnung“ unterwegs sind, einer sicheren Hoffnung auf Leben, das uns schon heute in Jesus Christus, in seinem Wort und in den Sakramenten geschenkt ist. Eine sichere Hoffnung auf Leben, die wir je neu erfahren können, wo wir uns einander in Liebe und Barmherzigkeit zuwenden und so den Raum unter uns bereiten, dass Christus im Heiligen Geist Heilung und Heil wirken kann. Wir selbst können zu Zeugen der Hoffnung auf Leben werden, indem wir einander von Herzen zu verstehen suchen, alle Rechthaberei ablegen und die Meinung des anderen, seine Überzeugung, vielleicht seine andere Sicht vom Leben, zu retten suchen.
Es ist eben diese aufgeschlossene und vorurteilsfreie Haltung in der Begegnung mit Christus und unseren Nächsten, die Jesus in den Worten ausdrückt: „Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ Denn es fordert uns zu einem liebevollen und verständnisvollen Dialog mit Christus und unseren Nächsten, seien sie gläubig oder nicht, heraus, der von Herzen verstehen und im Verstehen das Wirken Jesu Christi ermöglichen möchte. Denn so hat es auch Jesus Christus mit den Menschen gemacht: Im Mitgehen, im liebevollen Zuhören, im Austausch gelebter und erlebter heilender Erfahrungen mit Gott, entstand die Einsicht in die größere Liebe und Barmherzigkeit Gottes, in seinen Frieden und seine Gerechtigkeit, die er den Menschen schenkt.
Haltung gelebter Nächstenliebe
Der verstorbene Bischof von Aachen Klaus Hemmerle drückt diese Haltung des Hörens und Empfangens dessen, was Christus im Heiligen Geist unter den Menschen wirkt, mit den Worten aus: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“ Es ist genau diese Haltung gelebter Nächstenliebe, die den anderen nicht vereinnahmt für meine Position, meine Überzeugung, mein Besserwissen, sondern in der Haltung des Zuhörens und Mitgehens aus Liebe, dem Heiligen Geist den Raum schenkt, die Botschaft Jesu ganz neu, - vielleicht unerwartet -, zur Sprache zu bringen.
Pilger der Hoffnung
So kann sich in der Kraft des Heiligen Geistes unter uns ereignen, dass „Blinde sehen …, und Lahme gehen, Aussätzige… rein (werden), und Taube hören; Tote (auf)stehen…, und den Armen… das Evangelium verkündet (wird)“. (Mt 11, 4-6) Die Worte Jesu „Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt“ möchten auch heute in uns den Mut zum Zeugnis wecken für die heilende Kraft Jesu in dieser Zeit der Hoffnungslosigkeit so vieler Menschen.
In diesem Sinn sind wir im Heiligen Jahr berufen, als „Pilger der Hoffnung“ Zeugen des Lebens und der heilenden Gegenwart Christi in unserer oft orientierungslosen und sehnsuchtsvollen Welt zu sein.
„Pilger der Hoffnung“ sein weckt uns, Gott das Größere zuzutrauen, uns selbst zurücknehmen, uns selbst in unserer Einfachheit und Armut zu erkennen und die Größe Gottes zu loben und zu preisen.
„Pilger der Hoffnung“ für diese Welt sein ruft uns, Wunden zu heilen, unsere Mitmenschen stark zu machen im Glauben zu segnen, und den Notleidenden und Armen aus unberechneter Liebe zum Nächsten zu werden, um Jesu Willen.
„Pilger der Hoffnung“ sind schließlich Christinnen und Christen, die das Größere, das Christus uns verheißen hat, einfach glauben und einfach tun, weil sie sich von aller Habgier und allem Egoismus verabschiedet haben und mit leeren Händen aus der Gegenwart des Geistes Gottes, seiner Sakramente, der Worte Jesu und konkreter Nächstenliebe leben.
Das ist Grund unserer Freude, zu der uns der Eingangsvers zur Liturgie einlädt: „Freut euch im Herrn, denn der Herr ist nahe.“ Es ist das Wunder, das wir am 3. Adventssonntag feiern und dass der Herr auch der Kirche unserer Tage anbietet, immer neu.
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
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