Ö: Feministische Tradition in der Bibelauslegung
Die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer betont, dass die christliche Theologie eine zentrale Lücke aufweise, weil „wir jahrhundertelang nur die Hälfte der Geschichte hatten.“ Frauen, die biblische Traditionen neu interpretierten, seien über Jahrhunderte hinweg aus dem kulturellen Gedächtnis verdrängt worden. „Dieses Vergessenmachen hatte und hat System“, sagt sie. Frauenstimmen seien abgewertet, männlichen Auslegungen einverleibt oder als häretisch eingestuft worden und dadurch verschwunden.
Die nun abgeschlossene Reihe „Die Bibel und die Frauen“ rekonstruiert systematisch erstmals die Auslegung biblischer Texte durch Frauen vom frühen Judentum bis heute. Über 300 Forschende aus 30 Ländern wirkten daran mit. Die Darstellung zeige, dass die Theologie durchgehend von einer androzentrischen Sicht geprägt sei, erklärt Fischer.
Viele Denkerinnen seien unsichtbar gemacht worden. Beispiele sind Christine de Pizan und die Mystikerinnen Marta Fiascaris und Domenica da Paradiso, deren Auslegungen keinen Eingang in den Traditionskanon fanden.
Bleibende Herausforderung
Trotz ihrer Forschung sieht Fischer geringe Resonanz: „Ob wir in der Kirche wirklich etwas bewirkt haben? Ich weiß es nicht.“ Zur Forderung nach einer neuen Theologie der Frau sagt sie: „Die Bibliotheken sind schon voll mit Frauenstimmen. Man muss sie nur lesen.“
Mit Sorge blickt sie auf konservative und rechte Gegenbewegungen, die vereinfachte Rollenbilder mit Bibelzitaten begründen. „Da wird die Bibel gegen die Freiheit von Frauen verwendet.“
Das Projekt versteht Fischer als Grundlage für weitere Forschung: „Es sind alle Bände erschienen aber es gibt noch so viel zu erforschen.“ Eine internationale Konferenz in Neapel bildete den Abschluss der Forschungsarbeit.
(kap - bl)
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