Türkei-Experte: Christen hoffen auf gemeinsames Osterdatum
Herr Oehring, was erwarten Sie sich denn von der ersten Apostolischen Reise, die Papst Leo jetzt in die Türkei führt?
„Ich würde sagen, aus westlicher Sicht ist es natürlich schon bedeutend, dass Papst Leo in die Türkei fährt und das seine erste Auslandsreise ist. Auf der anderen Seite kann man natürlich auch sagen: Wenn man sich den Kalender anschaut, ist es irgendwie naheliegend, dass diese erste Reise des Papstes jetzt in die Türkei führt, weil es schlicht und ergreifend um das Jubiläum des Konzils von Nizäa geht. Das ist ja der eigentliche Anlass dieser Reise. Also sollte man das Ganze deswegen auch nicht zu sehr überhöhen.“
Allerdings hat Papst Leo ja rund um das Jubiläum von Nizäa natürlich auch sehr viele Institutionelle Termine gelegt. Es fällt allerdings auf, dass kein Besuch in der Hagia Sophia vorgesehen ist, in der ja Päpste vor ihm durchaus waren…
„Also dass der Papst die Hagia Sophia nicht besuchen kann, würde ich mal sagen, ist naheliegend, denn die Hagia Sophia ist seit einigen Jahren, wie wir wissen, wieder eine Moschee. Und wenn es schon darum geht, dass der Papst eine Moschee besucht, dann ist es aus türkischer Sicht viel sinnvoller, wenn er die bedeutendste osmanische Moschee, nämlich die Sultan-Ahmed-Moschee, in Istanbul besucht. Auch ein sehr schönes Gebäude, keine Frage. Die aber nicht die ganzen politischen Fragestellungen mitträgt, als Last der Vergangenheit sozusagen, die die Hagia Sophia mittransportieren würde. Ich denke, dass das protokollarisch eine vernünftige Lösung in den Gesprächen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Türkei war, sich dafür zu entscheiden, nicht die Hagia Sophia, sondern die Sultan-Ahmed-Moschee zu besuchen.“
Besuch der Sultan-Ahmed-Moschee eine „vernünftige Lösung"
Die katholische Gemeinschaft im Land ist sehr klein, sie freut sich natürlich auf den Papstbesuch. Was für Auswirkungen auf diese Gemeinschaft könnte denn der Besuch des Papstes haben?
„Ich würde sagen, fast keine - jenseits der Tatsache, dass natürlich ein Papstbesuch für solche kleinen Minderheitengruppen eine Bedeutung hat. Die Zahl der Christen insgesamt dürfte zwischen 50 und 100.000 Seelen liegen in einem Land mit einer Bevölkerung von inzwischen rund 85 Millionen. Ein solcher Besuch wird natürlich die Herzen der Leute erwärmen. Jenseits dessen wird aber wahrscheinlich aus diesem Besuch kaum etwas resultieren.“
In welcher Situation lebt denn die kleine katholische Kirche im Land? Wie wird sie gesehen?
„Ich meine, angesichts der Tatsache, dass die Kirchen ganz allgemein so klein sind, eben zwischen 50- und 100.000 Seelen bei einer Gesamtbevölkerung von 85 Millionen, kann man sich denken, dass es wahrscheinlich viele Türken gibt, die noch nie einen Christen bewusst gesehen haben. Und das können Sie natürlich einerseits auch als Schutz sehen, denn wen man nicht gesehen hat, gegen den wird man auch nicht vorgehen, der stört nicht im Stadtbild. Und gleichzeitig ist es natürlich auch so, dass man sich um solche Leute auch eigentlich gar nicht kümmern muss. Also, der Staat hat keinen Grund, sich um die Christen groß zu kümmern.
Und das ist im Grunde genommen wohl auch der Hintergrund der Tatsache, dass es den Christen in der Türkei heute so vergleichsweise gutgeht. Ein Großteil der Christen sind wahrscheinlich im Geschäftsleben tätig, insbesondere natürlich die katholischen Levantiner. Das gleiche gilt aber auch für einen Großteil der Armenier und der syrischen Christen. Ich denke, dass die Zahl der Armen unter den Christen relativ klein ist und das natürlich dann auch dafür spricht, dass diese Christen weiterhin in ihrem angestammten Lebensumfeld bleiben werden. Das gilt sowohl für die autochthonen Christen, also die syrischen Christen und die armenischen Christen, wie auch für die römisch-katholischen Christen, die hauptsächlich Levantiner sind. Das heißt also, ursprünglich auf Genueser, Venetianer, Italiener und Franzosen zurückzuführen waren.“
Wie ist die Präsenz der katholischen Kirche einzuordnen, was Bildung und was Gesundheitspflege betrifft? Dabei handelt es sich ja um angestammte, starke Pfunde der katholischen Kirche…
„Das sind tatsächlich auch in der Türkei starke Pfunde der katholischen Kirche, insbesondere der Bildungssektor. Wenn man sich beispielsweise die französischen und italienischen Schulen, aber auch das österreichische Sankt-Georg-Kolleg in Istanbul anschaut, das sind geradezu Eliteschulen, zu deren früheren Schülern durchaus einige wichtige Leute im Gesellschafts- und auch politischen Leben zählen. Also, von daher ist dieser Bereich immer noch sehr bedeutend.
Der Sozialbereich ist auch ad intra von großer Bedeutung. Da geht es natürlich um die Altenheime, das ist ganz klar. Da geht es aber auch um eine psychiatrische Einrichtung, die sich in Istanbul befindet und die natürlich jetzt nicht nur der eigenen kirchlichen Klientel dient, sondern die auch allgemein genutzt werden kann. Ich denke, dass das natürlich nach wie vor wichtige Einrichtungen sind, die durchaus auch bei bestimmten Gruppen, zum Beispiel in Istanbul und Izmir, bekannt sind und den Ruf der katholischen Kirche weiterhin nähren.“
Wunsch: Gemeinsames Osterdatum
Was würden Sie sich denn vom ökumenischen Gesichtspunkt her für eine Botschaft erwarten, die von diesem gemeinsam gefeierten Konzilsjubiläum in Nizäa ausgehen wird?
„Was erwartet wird von den Christen in der Türkei ist insbesondere, dass künftig das Osterfest dauerhaft von der Orthodoxie und der römisch-katholischen Kirche oder den katholischen Kirchen an einem gemeinsamen Termin gefeiert wird. Das ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner, von dem gesprochen wird. Das ist aber, wenn man sich die Situation in der Region besieht, sicher schon eine große Sache. Und wenn diese Erwartung erfüllt werden könnte, wäre das sicher für die Christen in der Türkei und auch im Nahen Osten ein großer Gewinn.“
Zur Person
Der Türkei-Experte Otmar Oehring, Jahrgang 1955, ist selbst in Ankara aufgewachsen. Seit 2016 bis vor wenigen Jahren war er Koordinator für Internationalen Religionsdialog in der Abteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer Stiftung. Zuvor leitete er das Länderprojekt Jordanien der Stiftung. Von 1983 bis 2012 war er im Internationalen Katholischen Missionswerk Missio in Aachen tätig, wobei in seinen Verantwortungsbereich im Auslandsbüro zunächst die Islamischen Länder und anschließend die Länder Afrikas und des Mittleren Ostens fielen. Seit 2001 war er Leiter des Menschenrechtsbüros von Missio.
(vatican news - cs)
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