Reaktionen auf Dilexi te: Option für die Armen als „Kern des Evangeliums“
Mario Galgano - Vatikanstadt
Auch die österreichischen Bischöfe begrüßten das Schreiben als „Programm und Prophetie“. Der Salzburger Erzbischof und Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Franz Lackner, betonte, das Schreiben stehe in großer Kontinuität zur Sozialverkündigung von Papst Franziskus, setze aber eigene Akzente.
„Dieses erste Schreiben unseres Heiligen Vaters ist Mahnung und Anleitung zugleich.“
Es erinnere daran, dass die Hinwendung zu den Armen für Christen „keine religiöse Kür“, sondern Fundament des Glaubens sei.
Theologie: Armut als „Familienangelegenheit“ und „Gegenmittel“
Laut dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, positioniert sich Leo XIV. nachdrücklich in der Tradition der Sozialverkündigung und stellt die (vorrangige) Option für die Armen in den Mittelpunkt, die er als den „Kern des Evangeliums“ kennzeichne. Er warne vor einem verkürzten Glaubensverständnis. Die Armen seien nicht bloß ein soziales Problem, sondern eine „Familienangelegenheit‘. Sie gehören ‚zu den Unsrigen‘“.
Der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl bezeichnete das Schreiben als gelungenes „Gemeinschaftswerk mit seinem Vorgänger“. Krautwaschl hob hervor:
„Papst Leo betont, dass die Meisten nicht selbst Schuld sind an ihrer Not, sondern hineingeboren oder davon überfallen werden. Man denke nur an die Kriege unserer Tage.“
Gegenmittel seien laut dem Schreiben „Eine gute Bildung für alle, eine Sozialpolitik, die die Armen ernst nimmt, und schließlich ein Umdenken von allen Menschen, Not anzuerkennen und zu helfen, wie das möglich ist.“
Wir sind Kirche: Versteckte Botschaften
Die KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ begrüßt es sehr, dass Papst Leo „das Handeln für und mit den Armen jeglicher Couleur als zentrale Botschaft des christlichen Glaubenshandelns festigt“. Der neue Papst habe, ausgehend von der biblischen Befreiungsvision, einen „Kriterienkatalog für dieses Pontifikat“ vorgelegt. Dabei übernehme er ausdrücklich das programmatische Erbe seines Vorgängers.
Der Text enthalte einige „teils versteckte“ Botschaften, die aufhorchen ließen; dazu gehören aus Sicht von „Wir sind Kirche“ eine Bestärkung der UNO, die Kritik an Internierungszentren, die Anerkennung der Rolle sozialer Bewegungen und die „Gemeinwohlorientierung von Religion, was auch das Handeln „christlicher Parteien“ in Frage stellt“.
Caritas Europa: Der „Echtheitstest“ des Glaubens
Als einen wichtigen „Fingerzeig“ auch für die praktische Caritas-Arbeit würdigte Michael Landau, Präsident von Caritas Europa, das Papst-Schreiben. Landau betonte, dass die Option für die Armen und das daraus resultierende „Tun der Liebe“ eine Art „Echtheitstest für den Glauben“ und die Glaubwürdigkeit der Kirche sei.
Landau forderte, neben den „alten‘ Nöten“ (materielle Fragen) auch die „neue Nöten zu sehen – jenseits bloß materieller Fragen: etwa die stille Not der Einsamkeit“. Das Schreiben halte ausdrücklich fest, dass es neben individueller auch „strukturelle Solidarität“ brauche.
Abschließend fasste Landau den Caritasauftrag zusammen:
„Vielleicht ist das hier und heute ein wichtiger Caritasauftrag: Ort und zugleich wirksames Zeichen der Hoffnung zu sein, Zeugnis zu geben von der befreienden Gegenwart Gottes, in dieser Welt, heute und hier, nicht zuerst durch Worte, sondern durch das konkrete Tun.“
Programm und Prophetie
Erzbischof Lackner ergänzte, „Dilexi te“ sei programmatisch und prophetisch, insofern es eine Grenzen überwindende Liebe beschreibe. „Insofern gehe Leo den von Papst Franziskus begonnenen Weg 'mit klaren Worten und festen Schritten weiter'“.
Bischof Bätzing dankte Papst Leo XIV. für seine „deutlichen Worte“ und wünschte sich, dass seine Ausführungen intensive Rezeption und breite Beachtung erfahren.
Theologen und Hilfswerke würdigen Papst Leo XIV. als radikalen Sozialkritiker
Das erste Schreiben von Papst Leo XIV., „Dilexi te – Über die Liebe zu den Armen“, wird von Theologie und kirchlichen Hilfswerken als ein Dokument von fundamentaler Bedeutung gewürdigt. Die Linzer Pastoraltheologin Klara A. Csiszar würdigte das Schreiben an diesem Donnerstag als Dokument von „theologischer Radikalität“ und eine „fundamentaltheologische Neubestimmung des Christentums“ insgesamt.
Laut Csiszar zeige das Schreiben, „dass die Begegnung mit den Armen nicht peripherer Aspekt, sondern das Zentrum der christlichen Existenz ist“. Die Armen seien als „Orte, wo Christus ist, spricht und richtet“ zu verstehen und somit kirchlich als „zentrale Akteure der Heilsgeschichte“ anerkannt.
Das Schweizer Hilfswerk Fastenaktion nannte das Schreiben ein „unmissverständliches Zeichen“ gegen die Kürzung der Entwicklungshilfe. Sie betonten, Armut habe strukturelle Ursachen. Warnung vor Eliten und Indifferenz
Die Hilfsorganisation Fastenaktion begrüßte das Schreiben als „unmissverständliches Zeichen“ in einer Zeit, in der Regierungen die Entwicklungshilfe kürzen und Armut wieder zuzunehmen droht. Papst Leo XIV. setze „sich inhaltlich ganz bewusst in die politisch-theologische Linie seines Vorgängers“ und mache klar, dass Armut „strukturelle Ursachen“ habe.
Obwohl Leo XIV. seine Kritik an Ungleichheit weniger scharf formuliere als Papst Franziskus, sei seine Haltung deutlich:
„Es gibt wirtschaftliche Regeln, die sich für das Wachstum als wirksam erwiesen haben, aber nicht für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Der Reichtum ist gewachsen, aber ohne Gerechtigkeit, und so entsteht neue Armut.“
Der Papst prangert die „Zunahme einiger reicher Eliten“ an, die „in einer Blase sehr komfortabler und luxuriöser Bedingungen leben“, während eine „Kultur, die andere ausgrenzt, ohne dies überhaupt zu bemerken“, die Not von Millionen hinnimmt.
Kampf gegen strukturelle Ursachen
Das Schreiben verankert die Armutsbekämpfung als „glühende Kern“ des kirchlichen Auftrags und als „Schrei, der in der Geschichte der Menschheit… die Kirche beständig hinterfragt“.
Leo XIV. betont die Notwendigkeit des Engagements für „Volksbewegungen“ und fordert eine Politik „mit den Armen und sozialen Bewegungen“, um deren Stimme Gehör zu verschaffen (81). Die Fastenaktion sieht darin einen klaren Aufruf: Solidarität bedeute „Kampf gegen die strukturellen Ursachen der Armut“ und nicht nur paternalistisches Handeln.
Die scharfe Kapitalismuskritik des Papstes zeige sich, wenn er vor den „zerstörerischen Auswirkungen der Herrschaft des Geldes“ warnt und die gegenwärtige Konsumlogik als nicht nachhaltig verurteilt:
„[Wir] legitimieren das gegenwärtige Modell der Verteilung, in dem eine Minderheit sich für berechtigt hält, in einem Verhältnis zu konsumieren, das unmöglich verallgemeinert werden könnte, denn der Planet wäre nicht einmal imstande, die Abfälle eines solchen Konsums zu fassen.“
Der Papst verurteilt zudem die „Analphabeten“ in der Gesellschaft, die gelernt haben, „wegzuschauen“ und „die Gebrechlichsten und Schwächsten unserer entwickelten Gesellschaften“ zu ignorieren. Das Dokument schließt mit der Ermutigung, dass durch Arbeit, Einsatz für Strukturwandel und Nächstenliebe der Arme spüren kann: „Ich [habe] dir meine Liebe zugewandt (Offb 3,9)“.
(pm)
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