Morgengrauen nach dem Wahlsonntag in Berlin Morgengrauen nach dem Wahlsonntag in Berlin 

Deutschland: „Jetzt konstruktiv um gerechte Lösungen ringen"

Spitzenvertreter der katholischen und evangelischen Kirche hoffen nach der Bundestagswahl auf eine zügige und verantwortungsvolle Regierungsbildung. Zugleich zeigten sie sich besorgt mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Nach den Bundestagswahlen in Deutschland hofft der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) darauf, dass „zügig eine stabile Regierung“ gebildet werden könne. Das sagte Bischof Georg Bätzing am Sonntagabend in einer ersten Reaktion gegenüber Radio Vatikan.

„Die stark gestiegene Wahlbeteiligung ist ein gutes Zeichen für unser Land, dass die Demokratie ernst genommen wird“, merkte der DBK-Vorsitzende vorab grundsätzlich an. „Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler will eine Stärkung der demokratischen Mitte, was sich am Wahlergebnis zeigt. Ich hoffe, dass wir jetzt zügig eine stabile Regierung bekommen, die die Probleme anpackt“, formulierte Bätzing.

Der Wahlkampf sei vorüber, „jetzt muss gehandelt werden“, so der Bischof, der nun auf ein konstruktives Zusammenarbeiten der demokratischen Kräfte in Deutschland hofft. „Die demokratischen Kräfte müssen zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger zusammenarbeiten; das heißt zuhören, einander verstehen und konstruktiv um gerechte Lösungen ringen und zu Kompromissen bereit sein.“

Mit Blick auf die Außenpolitik betonte Bätzing weiter: „Deutschland muss dabei in einem demokratischen Europa eingebunden sein, als rechtsstaatliches, freiheitliches, weltoffenes und solidarisches Land. Extremistische Kräfte und solche, die trotz des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine mit Putins Russland sympathisieren, dürfen nicht den Ton angeben. Gerade angesichts der internationalen Situation wünsche ich mir sehr, dass Europa durch diese Wahl und die neue Regierung gestärkt wird.“

Ergebnisse der Wahl 

Dem am Montagmorgen von der Bundeswahlleiterin veröffentlichten vorläufigen Ergebnis zufolge kommt die Union auf 28,6 Prozent der Stimmen, gefolgt von der AfD mit 20,8 Prozent, dahinter die SPD (16,4 Prozent), Grüne (11,6 Prozent) und Linke (8,8 Prozent). Die FDP verpasst mit 4,33 Prozent den Einzug ins Parlament. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) scheitert mit 4,97 Prozent knapp am Einzug ins Parlament. Die FDP scheitert mit 4,3 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde.

Wahlsieger Friedrich Merz (CDU)
Wahlsieger Friedrich Merz (CDU)

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, sagte: „Jetzt nach der Wahl stehen die Parteien der demokratischen Mitte vor der anspruchsvollen Aufgabe, mit diesem Wahlergebnis konstruktiv und verantwortungsvoll umzugehen.“ Sie hoffe, dass eine neue Regierung die politischen Rahmenbedingungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein weltoffenes Deutschland stärke, „ein Deutschland, in dem Menschenwürde und wechselseitiger Respekt zählen“.

AfD-Zunahme: „Warnsignal für die Demokratie”

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sagte der Plattform domradio.de: „Angesichts der Herausforderungen, vor denen unser Land, Europa und im letzten die ganze Welt stehen, hoffe ich, dass es zügig zur Bildung einer neuen Bundesregierung kommt, die dann maßvoll und klug die politischen Probleme unserer Zeit angeht, den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert und allen Tendenzen von Spaltung und Polarisierung wirksam entgegentritt.”

Die Zunahme der Stimmenanteile für die AfD nannte der Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz ein ernstzunehmendes Warnsignal für die Demokratie. Das Ergebnis dürfe keinesfalls als bloß statistische Entwicklung abgetan werden. „Vielmehr erfordert es ein entschlossenes Handeln von Politik, Zivilgesellschaft und jedem Einzelnen, um den schleichenden Einfluss extremistischer Positionen wirksam zu begrenzen und die demokratischen Werte zu verteidigen”, so Benz.

Mit gemischten Gefühlen blickte auch der Würzburger Bischof Franz Jung auf das Wahlergebnis, das einen deutlichen Rechtsruck zeige, bekannte der Bischof. „Die Menschen erhoffen sich verständlicherweise rasche Lösungen für die großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme unseres Landes.“ Nun werde es darauf ankommen, eine stabile Regierung zu bilden, die sich als handlungsfähig erweise. „Als Kirche erhoffen wir uns eine Politik, die die Menschenwürde, die Nächstenliebe und den Zusammenhalt in unserem Land stärkt“, sagte Jung. Dies gelte gerade vor dem Hintergrund einer sich dramatisch verändernden Weltlage und eines Europas, das um den Zusammenhalt ringe.

„Hoffentlich bleiben wir gesellschaftlich beieinander und überwinden die Gräben, die sich in den letzten Wochen gezeigt haben“, erklärte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Er wünsche sich eine Regierung, die die Zukunftsthemen des Landes wie Wirtschaft, Umwelt und Leben in Würde mutig angehe. „Aus meiner christlichen Perspektive müssen soziale Gerechtigkeit und die Integration der Menschen, die zu uns kommen, einen festen Platz auf der politischen Agenda haben“, so Heße, der auch Flüchtlingsbischof der Bischofskonferenz ist.

Jüdische Reaktionen

Der Zentralrat der Juden in Deutschland nahm das Abschneiden der AfD mit Betroffenheit zur Kenntnis. Obwohl es sich um ein erwartbares Ergebnis handle, sei er an diesem Abend erschrocken über den Wahlerfolg der AfD, die ihren Stimmenanteil in nur drei Jahren verdoppelt habe, sagte Zentralrats-Präsident Josef Schuster am Sonntagabend der „Welt“. Schuster weiter: „Es muss uns alle umtreiben, dass ein Fünftel der deutschen Wähler einer mindestens in Teilen rechtsextremistischen Partei ihre Stimme gibt, die sprachlich und ideologisch offen Verbindungen zum Rechtsradikalismus und Neo-Nazismus sucht, mit den Ängsten der Menschen spielt und ihnen nur scheinbare Lösungen anbietet.“

Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER), Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, gratulierte dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz „sehr herzlich zu seinem Wahlsieg". Die CER freue sich auf die weitere gute Zusammenarbeit mit der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU und bedanke sich an dieser Stelle für die große bisherige Unterstützungund das klare Bekenntnis beider Unionsparteien zum jüdischen Leben in Deutschland und Europa.

Goldschmidt nahm in seiner Erklärung Bezug auf die jüngsten Anschläge radikalisierter islamistischer Täter in Berlin und München, den versuchten Anschlag auf die israelische Botschaft und „eine antiisraelische und antisemitische Haltung in Teilen der Gesellschaft, die auf falschen, toxischen Nahost-Narrativen beruht“. Solche Ereignisse seien „ein Angriff auf uns alle, auf jeden Einzelnen in unserer freien Gesellschaft". Europa befinde sich in gefährlichen Zeiten, ausländische Mächte und extremistische Ideologien versuchten, das freie und liberale Europa zu zerstören. „Das dürfen wir niemals hinnehmen." Man hoffe, dass die von Friedrich Merz geführte Bundesregierung „weit über Europa hinaus eine klare Haltung gegen Antisemitismus, Desinformation und den entschlossenen Kampf gegen radikale Ideologien, die unsere Gesellschaft spalten, einnehmen wird", so die CER. Man hoffe „auch auf einen starken, wieder respektierten Rechtsstaat, der das Recht konsequent durchsetzt, Hass und Gewalt klar in die Schranken weist und den Bürgerinnen und Bürgern sowie der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland wieder ein Gefühl der Sicherheit gibt".

Alice Weidel (AfD)
Alice Weidel (AfD)

Hoffnung auf einen „Kanzler, der eint“

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gratulierte CDU-Chef Friedrich Merz zum Wahlsieg. „In Zeiten einer besorgniserregenden Fragmentierung der Gesellschaft brauchen wir in Deutschland jetzt einen Kanzler, der eint. Der europäisch denkt. Und der einem vielfältigen Land mit großen Herausforderungen Hoffnung gibt“, sagte die Präsidentin des Laien-Dachverbands, Irme Stetter-Karp, auf Anfrage. Zugleich betonte sie: „Wer Zukunft will, darf in dieser Situation nicht zurück in die Vergangenheit. Nicht bei der Klimapolitik. Nicht bei der Wirtschafts- und auch nicht bei der Sozialpolitik.“

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Aufgaben: innere, äußere und soziale Sicherheit

Aus Sicht der Präsidentin von Caritas Deutschland, Eva Maria Welskop-Deffaa, muss der Ausgang der Bundestagswahl Startschuss für eine neue verantwortungsvolle Politik sein. „Die drei großen Aufgaben, die die nächste Bundesregierung anpacken muss, lauten innere, äußere und soziale Sicherheit“, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. „Das Wahlergebnis - erkennbar von Unsicherheiten und Verunsicherungen geprägt - zeigt, wie wichtig es ist, dass eine neue Regierungskoalition so schnell wie möglich verlässliche Antworten in diesen drei Bereichen gibt.“

Der Sozialstaat müsse mutig weiterentwickelt werden – „bürokratiearm und verlässlich“, sagte Welskop-Deffaa. „Oberste Priorität hat dabei die Pflege. Es geht um unsere sozialen Sicherungssysteme und um die soziale Infrastruktur in tragfähiger Zusammenarbeit von Freier Wohlfahrtspflege und öffentlicher Hand.“ Das gehöre ins Zentrum eines Koalitionsvertrages, der so rasch wie möglich ausgehandelt werden müsse. „Wir stehen als Caritas bereit, die Regierungsbildung und die Erfüllung der skizzierten Aufgaben konkret und konzeptionell zu unterstützen“, bot die Chefin des katholischen Wohlfahrtsverbands an. Zeitverzug und Verzögerungen bei der Aufstellung des Bundeshaushalts gefährden bereits jetzt unverzichtbare Leistungen und Einrichtungen.

Lob für hohe Wahlbeteiligung

Ausdrücklich würdigten die Kirchenvertreter die stark gestiegene Wahlbeteiligung. Ersten Angaben zufolge lag sie bei über 80 Prozent. Die Landesbischöfin der evangelischen Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, sprach von einem ermutigenden Zeichen für eine lebendige Demokratie. Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa sagte, den Menschen sei klar geworden, „dass es diesmal um etwas geht“, wie sie im Interview dem Portal „katholisch.de“ hervorhob. Gleichzeitig kritisierte sie die Art und Weise, in der der Wahlkampf geführt wurde. „Verunglimpfungen von Wählern und Kandidaten möglicher Koalitionspartner waren den anstehenden Sondierungs- und Koalitionsgesprächen sicherlich nicht zuträglich.“ Sie wünsche sich einen menschenfreundlicheren Umgang der Politiker miteinander.

Mit Kultur gegen die Spaltung

Der Deutsche Kulturrat fordert von der neuen Regierung einen stärkeren Fokus auf Kultur und Kulturpolitik. „Wir erwarten von dem zukünftigen Bundeskanzler Friedrich Merz und seiner Regierung nicht nur schöne Worte, sondern handfeste kulturpolitische Taten“, teilte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, am Montag in Berlin mit. „Wir brauchen deutlich mehr Augenmerk auf die Kultur. In einer Zeit, in der sich die Spaltung der Gesellschaft verstärkt und antidemokratische Kräfte an Einfluss gewinnen, können Kunst und Kultur ein Gegengewicht schaffen, Diskursräume öffnen und den Horizont eigener Überzeugungen weiten.“ 

Der Kulturrat stellt dazu erneut elf Forderungen auf, darunter eine Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz und eine Aufwertung des Amtes der Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien zum Ministerium. Ferner müsse es bei Arbeitslosenversicherung und Altersvorsorge Verbesserungen für selbstständige Künstler geben. Auch müsse eine angemessene Vergütung für die Nutzung von künstlerischen Werken und Leistungen für KI-Zwecke sichergestellt werden. Kulturelle Bildung sollte frühzeitig in Kitas und Schulen greifen.

-zuletzt aktualisiert Montagmittag 12:15 Uhr: weitere Reaktionen-

(vatican news/kna/katholisch.de – pr)
 

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23. Februar 2025, 20:33