Diözese Bozen-Brixen stellt Missbrauchsgutachten vor
Der Bischof werde das Gutachten nun eingehend prüfen und ausführlicher diesen Freitag (24.1.) bei einer Pressekonferenz persönlich Stellung dazu nehmen, hieß es auf der Internteseite des Bistums. Die Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl präsentierte am Montag die Ergebnisse ihres Untersuchungsberichts „Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker im Bereich der Diözese Bozen-Brixen von 1964 bis 2023". Die Inhalte des nun vorliegenden Berichts waren laut Aussage der Diözese bis zur offiziellen Präsentation niemandem bekannt – auch nicht Bischof Ivo Muser, der demnach selbst erst während der Vorstellung am 20. Januar Einblick in das Gutachten erhielt.
Insgesamt werden 41 Priester beschuldigt - bei 29 Priestern träfen die Vorwürfe entweder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit oder nachweisbar zu, bei zwölf weiteren konnten die Vorwürfe nicht ausreichend beurteilt werden. Manchen Priestern werden mehrere Taten vorgeworfen. Bei 24 Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker hätten Verantwortliche im Bistum teilweise über Jahre hinweg fehlerhaft oder zumindest unangemessen gehandelt. Wastl nannte den Fall eines Priesters, der seit den 60er Jahren kleine Mädchen „begrapscht" und missbraucht habe, aber jahrzehntelang von einer Gemeinde in die nächste versetzt worden sei. Erst 2010 habe man „den Mut gehabt", ihn aus der Seelsorge zu entfernen.
Hier gibt es Hilfe
Hier finden Sie die Ombudsstelle und den Dienst für den Schutz von Minderjährigen der Diözese. Weitere Anlaufstellen hat die Diözese hier gesammelt.
Besonders viele Frauen betroffen
Als Besonderheit nennen die Berichterstatter, dass mehr als 51 Prozent der Betroffenen weiblich waren und nur 18 Prozent eindeutig dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden konnten. Dagegen habe bei Untersuchungen etwa in deutschen Diözesen die Zahl der männlichen Betroffenen bei weitem überwogen. Nach der rund 90-minütigen Pressekonferenz erhielten Bischof Ivo Muser und Generalvikar Eugen Runggaldier die beiden je rund 600 Seiten umfassenden Bände auf Deutsch und Italienisch, den vorherrschenden Sprachen in dem Südtiroler Bistum.
Erste Reaktion Musers: Ist beschämend und fordert uns heraus
Bischof Muser, seit 2011 Bischof von Bozen-Brixen, äußerte in einer kurzen Stellungnahme Scham über die berichteten Missbrauchsfälle und den Umgang der Kirche mit ihnen: „Ich habe in den vergangenen Jahren durch die Ombudsstelle und persönliche Gespräche von Betroffenen erfahren, wie tiefgreifend sexueller Missbrauch verletzt und zerstört. Ich denke an die vielen Menschen, die Opfer von sexuellem Missbrauch durch Priester oder andere kirchliche Mitarbeitende wurden. Ihr Leid ist beschämend und fordert uns heraus, hinzusehen. Ich stelle mich bewusst auf ihre Seite. Der heilige Paulus schreibt: ‚Wenn ein Glied leidet, leidet der ganze Körper.‘ Diese Worte treffen auf unsere Kirche und unsere Diözese zu."
Als Bischof der Diözese trage er Verantwortung. „Das Gutachten zeigt auf, dass sexueller Missbrauch immer auch ein Missbrauch von Macht ist. Macht wurde auf Kosten der Betroffenen missbraucht. Das ist ein belastender, aber notwendiger Blick auf die Realität." Bischof Muser dankte allen, die die Studie ermöglichten, besonders erwähnte er hier Betroffene:
„Heute danke ich den Betroffenen und allen, die durch ihren Mut dazu beigetragen haben, dass dieses Gutachten möglich wurde. Es braucht Mut, hinzusehen – zurück in die Vergangenheit, aber auch in die Gegenwart und in die Zukunft. Denn wir wollen, dass die Kirche ein sicherer Ort ist – besonders für Kinder, Jugendliche und verletzliche Personen.“
Italienweit erste Studie dieser Art
Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hatte bereits Untersuchungen im Auftrag des Erzbistums München-Freising und weiterer deutscher Bistümer erarbeitet. Die Südtiroler Diözese sei das einzige der mehr als 200 Bistümer Italiens, welches bislang „den schmerzhaften Weg der Aufklärung" gegangen sei, betonte Rechtsanwalt Ulrich Wastl. Er lobte die gute Zusammenarbeit, Lernbereitschaft und Fehlerkultur der Bistumsleitung.
Hintergrund
Die Diözese Bozen-Brixen hat im November 2023 das Projekt „Mut zum Hinsehen“ gestartet. Ziel ist es, Missbrauchsfälle in der Vergangenheit aufzuarbeiten, präventive Maßnahmen zu stärken und Hilfe für Betroffene anzubieten. Die erste Phase dieses Projekts umfasste die Sichtung aller relevanten diözesanen Archive und die Durchführung von Interviews mit Betroffenen, Zeugen und weiteren Personen. Diese Aufgabe wurde von der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl aus München gemeinsam mit einer Kanzlei aus Bruneck übernommen.
(diözese bozen-brixen/kna - sst)
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